Literaturnachweis: Weingärtner, O., Landmesser, U., März, W. et al.
Kommentar zu den Leitlinien (2019) der ESC/EAS zur Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien.
Kardiologe 14, 256–266 (2020). https://doi.org/10.1007/s12181-020-00399-9
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Autoren
Oliver Weingärtner · Ulf Landmesser# ·Winfried März · Julius L. Katzmann · Ulrich Laufs
# Für die Kommission für Klinische Kardiovaskuläre Medizin der DGK
Zusammenfassung
Das Ziel einer lipidsenkenden Therapie ist eine möglichst große absolute Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse. Diese wird durch das individuelle vaskuläre Risiko, die Höhe des Ausgangs-LDL(„low density lipoprotein“)-Cholesterins sowie das Ausmaß und die Dauer der LDL-C(„low density lipoprotein-cholesterol“)-Senkung bestimmt. Die Zielwerte der ESC(European Society of Cardiology)/EAS(European Atherosclerosis Society)-Leitlinien sind eine Expertenempfehlung zur Übersetzung dieser evidenzbasierten Prinzipien in therapeutische Strategien. Dabei stehen die Leitlinienautoren im Spannungsfeld zwischen praktischer Umsetzbarkeit (und möglicher Frustration bei Nichterreichen) und der Intention, die Bemühungen aller Akteure in die Richtung einer besseren LDL-C-Senkung zu leiten. Die neuen großen Studien zu den Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9(PCSK9)‐Hemmern zeigen, dass es keinen unteren Grenzwert für die Beziehung zwischen der erreichten LDL-C-Serumkonzentration und vaskulärer Risikoreduktion gibt, d. h. je niedriger das LDL‑C umso geringer ist das kardiovaskuläre Risiko. Dabei – und dies ist einer der wichtigsten Befunde der letzten Jahre – gibt es keinen Hinweis auf gravierende Nebenwirkungen für Statine, Ezetimib und Anti-PCSK9-Antikörper. Potente Statine und Ezetimib sind generisch verfügbar und haben in Kombination (z. B. IMPROVE-IT-Studie) eine LDL-C-Senkung in den Bereich des neu empfohlenen Zielwertes für sehr hohes Risiko von 55 mg/dl (1,4 mmol/l) gezeigt, der sich u. a. hieraus begründet. Unter dem Eindruck der positiven PCSK9I-Studien bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko liegt der Schwerpunkt der 2019 ESC/EAS-Leitlinie auf den Hochrisikopatienten. Eine detaillierte Beschäftigung mit Patienten mit niedrigem Risiko, bei denen ein großer Anteil der Herzinfarkte auftritt, bleibt einer nächsten Überarbeitung überlassen. Eine Schwierigkeit bei der Publikation sind die unvollständig durch Evidenz hinterlegten Empfehlungen zur Ernährung. Praktisch relevante neue Empfehlungen der Leitlinie betreffen die Aufwertung der vaskulären Bildgebung, der triglyzeridreichen Lipoproteine (ApoB[Apolipoprotein B]-, Non-HDL[„high density lipoprotein“]-Zielwerte), der Bedeutung von Lipoprotein(a) und die Empfehlungen für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie.